
UNO-Biodiversitätskonferenz 2022
Warum das Artensterben mindestens so gefährlich ist wie die Klimakrise – und was man dagegen tun kann
Vom 7. bis zum 19. Dezember fand der zweite Teil der 15. UNO-Biodiversitätskonferenz – auch Weltnaturgipfel genannt – im kanadischen Montréal statt. Es soll eine neue Leitlinie für den globalen Arten- und Naturschutz und den Erhalt der Biodiversität beschlossen werden. Auf dieser Themenseite finden Sie aktuelle Berichte und Interviews aus Montréal und Hintergründe zum Schutz der Natur.
- Die Welt erlebt derzeit das grösste Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Rund eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht.
- In der Schweiz sind die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht. Bei den Insektenarten mehr als die Hälfte. Seit 1900 haben die Moore 82 Prozent ihrer Fläche verloren. 95 Prozent der Trockenwiesen und -weiden sind zerstört. Bezüglich der Schutzgebiete ist die Schweiz das Schlusslicht ganz Europas.
- Dabei sind die kostenlosen Dienstleistungen einer intakten Biodiversität für uns überlebenswichtig: Bestäubung, Bodenfruchtbarkeit, Wasserreinigung, CO2-Speicherung, Hochwasserschutz.
- Der Biodiversitätsverlust wird von der Bevölkerung und Wirtschaft als ernste Gefahr eingeschätzt. Laut dem Bundesamt für Statistik schätzt eine sehr breite Mehrheit den Verlust der biologischen Vielfalt als eine der grössten Gefahren für Mensch und Umwelt ein. In seinem jüngsten Global Risk Report definiert das World Economic Forum (WEF) den Biodiversitätsverlust ebenfalls als eine der gravierendsten Bedrohungen.
- Am 14. Dezember behandelte der Ständerat die Biodiversitätsinitiative sowie den indirekten Gegenvorschlag dazu. Medienmitteilung
Weltnaturgipfel in Montreal endet mit Erklärung – jetzt beginnt die Arbeit
Heute Montag, 19. Dezember, haben die Teilnehmer:innen der 15. Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention nach rund zweiwöchigen Verhandlungen den Kunming-Montreal-Zielrahmen für die Biodiversität verabschiedet.
Darin setzen sich die rund 200 Staaten unter anderem das Ziel, mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen. Dabei soll besonderes Augenmerk auf Regionen liegen, die zentral sind für die Biodiversität und das Funktionieren der Ökosysteme.
Der Zielrahmen enthält vier Oberziele und 23 Ziele. Diese gehen in die richtige Richtung und stellen einen Fortschritt dar, sie werden allerdings nicht genügen, um den Biodiversitätsverlust tatsächlich zu stoppen. Denn es fehlt an Geld und konkreten Massnahmen und Instrumenten.
Recommendation adopted by the working group on the Post-2020 global biodiversitiy framwork (PDF)
Kommentar Jan Schudel, Projektleiter Politik Birdlife Schweiz
Der Kunming-Montreal-Zielrahmen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt müssen alle Länder, insbesondere auch die Schweiz, rasch die notwendigen Massnahmen einleiten, um die Umsetzung dieser Ziele an die Hand zu nehmen. Nur eine entschiedene Umsetzung des Zielrahmens kann die Biodiversitätskrise lindern und die Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen erhalten.“
Kommentar Friedrich Wulf, Vertreter Pro Natura Schweiz an der COP15
Pro Natura bedauert, dass es der Weltgemeinschaft an der heute in Montreal zu Ende gegangenen UNO-Biodiversitätskonferenz nicht gelungen ist, eine Trendwende für die Rettung der Natur einzuleiten. Zwar wurde im neu geschaffenen Kunming-Montréal Global Biodiversity framework beschlossen, dass der Verlust der Biodiversität bis 2030 beendet und umgekehrt werden soll. 30% der Erdoberfläche sollen bis 2030 wirksam unter Schutz gestellt und 30% der degradierten Ökosysteme wiederhergestellt werden.
Doch ist es nicht gelungen, die Kräfte anzugehen, die den Verlust der Biodiversität bedingen. Unternehmen werden nur „ermutigt und befähigt“, Berichte zu erstellen und Produkte zu kennzeichnen, aber es gibt keine Rechenschaftspflicht oder Verantwortung für den angerichteten Schaden.
Der angestrebte Mechanismus für eine bessere Umsetzung wurde ebenfalls verwässert – eine Überprüfung des Fortschritts findet nur global statt und es steht den Ländern frei, ob sie ihre Bemühungen zum Biodiversitätsschutz erhöhen wollen, wenn sie nicht auf Kurs sind.

Der alles entscheidende Match findet in Montréal statt
Wie wird das weltweite Massenaussterben gestoppt und wie können unsere natürlichen Lebensgrundlagen gerettet werden? An der Biodiversitätskonferenz fordern Vertreter:innen von Birdlife Schweiz und Pro Natura, zwei der Trägerorganisationen der Biodiversitätsinitiative, eine Erhöhung des Schweizer Beitrags sowie mehr Aufmerksamkeit für die Biodiversitätskrise und ihre wahren Treiber.

Stimmen aus der Wissenschaft
Das Centre for Development and Environment (CDE) und die Wyss Academy for Nature der Universität Bern beleuchten in Interviews mit ihren Expert:innen einige der wichtigsten Aspekte der anstehenden Verhandlungen zum Artenschutz. Einige der Interviews erschienen bereits im März, als in Genf Verhandlungen zur UNO-Biodiversitätskonferenz stattfanden. Scnat – Akademie der Naturwissenschaften gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihrer Website mit der CARTE BLANCHE die Möglichkeit, sich zu gesellschafts- und wissenschaftspolitischen Themen zu äussern.
INTERVIEWS
«Macht das, was ich tue, für die Menschen vor Ort Sinn?»
Margaret Owuor, Professorin für Integrativen Biodiversitätsschutz an der Wyss Academy for Nature, weiss nur zu gut, dass politische Aussagen und Erklärungen zum Naturschutz auf globaler Ebene entschieden werden. Das ist einer der Gründe, warum die Wissenschaftlerin solche Fragen auf die lokale Ebene heruntergebrochen sehen möchte. Mit dieser Strategie will sie die lokalen Gemeinschaften in ihrer Heimat Kenia stärken. Das wiederum könnte helfen, dem Ziel eines ökosystembasierten Managements näher zu kommen. Interview

CARTES BLANCHES
Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion
Die Bestäubung der Kulturen ist in der Schweiz mehrheitlich noch relativ gut. Bei Kirschen, Himbeeren, Raps und anderen Kulturen können Erträge lokal aber deutlich reduziert sein, weil zu wenige bestäubende Insekten vorhanden sind. Die nötigen Massnahmen wie Biodiversitätsförderflächen, um künftig eine stabile Bestäubung zu sichern, sind bekannt und gut umsetzbar.
Carte Blanche für Matthias Albrecht, Agroscope

«Die Biodiversität betrifft unser aller Leben – vielleicht noch mehr als das Klima»
Der Zustand von Klima und biologischer Vielfalt hängen eng zusammen. «Und sie sind auch mit zentralen Fragen wie Gerechtigkeit, Werten und dem Wohlergehen aller verbunden», sagt Unai Pascual, Mitglied des Weltbiodiversitätsrates IPBES, Professor am Baskischen Zentrum für Klimawandel sowie assoziierter Wissenschaftler am CDE. Die Menschen hätten sehr unterschiedliche Ansichten zu den Beziehungen zwischen Mensch und Natur. «Die dringend nötigen Veränderungen zum Schutz der Umwelt müssen diese Vielfalt respektieren – jenseits des Machtgefälles zwischen globalem Norden und Süden.» Interview
„30×30“: Wie realistisch ist ein flächenbezogener Ansatz
Eine Forderung steht sehr weit oben auf der Traktandenliste: Die „30×30“-Initiative. Mit ihr sollen 30 Prozent der Erdoberfläche geschützt werden, um das ungebremste Artensterben zu stoppen. Doch wie realistisch und zielführend ist ein flächenbezogener Ansatz? Julie Zähringer, Professorin für Landnutzungssysteme und Nachhaltigkeits-Transformationen an der Wyss Academy und dem CDE, meint mit Blick auf den globalen Ressourcenverbrauch: «Wäre es nicht wichtiger, an den Ursachen der Bedrohungen für die artenreichen Gebiete anzusetzen, statt bei den Symptomen?» Interview
«Indigenes Wissen kann man nicht in einem Museum aufbewahren»
CDE-Wissenschaftlerin Sarah-Lan Mathez-Stiefel, die in den Anden zu biokultureller Vielfalt geforscht hat, sagt: «Wenn wir die Biodiversität erhalten wollen, müssen wir die Zusammenhänge zwischen lokalem Wissen, Werten und Weltanschauungen sowie der biologischen Vielfalt als Ganzes angehen.» Was das für Berggebiete heisst, schildert sie im Interview
«Der stark lokale Charakter der Artenvielfalt ist eine Chance»
Über ein Drittel der Pflanzen-, Tier- und Pilzarten der Schweiz sind bedroht. Mit verschiedenen Instrumenten versuchen Bund, Kantone und Gemeinden den Artenschwund zu stoppen – bislang ohne namhaften Erfolg. Ist es einfach Politikversagen? CDE-Wissenschaftlerin Astrid Zabel über die Gründe, warum sich Biodiversitätsziele oft nicht einstellen, und zur Frage, welche Instrumente den Artenschutz fördern können. Interview
«Beim Artenschutz müssen wir auch dem indigenen Wissen treu bleiben»
«Die reichen Länder müssen sich fragen, was sie zum Verlust der biologischen Vielfalt beigetragen haben. Das muss nicht verhandelt werden, das können sie selbst überprüfen und sagen: Wir stoppen das»: Das ist die Ansicht von Boniface Kiteme, dem Leiter des Ausbildungs- und Forschungszentrums CETRAD in Kenia, das seit über 30 Jahren mit dem CDE und jetzt auch mit der Wyss Academy for Nature zusammenarbeitet. Interview

Medienspiegel
Eine Ode an die Fliege
Was hat die Stubenfliege jemals für uns getan? Braucht irgendjemand 25.000 verschiedene Arten von Landschnecken? Welchen Beitrag leistet der Schweinswal für das Bruttoinlandsprodukt? Auch wenn die meisten noch nie von ihnen gehört haben: Die Verhandlungen in Montreal sind das vielleicht wichtigste globale Meeting des Jahrzehnts. Denn entweder löst man das Klima- und das Biodiversitätsproblem zusammen. Oder gar nicht. Lesenswerter Beitrag Zeit online, 7. Dezember 2022


COP15: Weltnaturkonferenz soll Artensterben stoppen
Weltnaturschutzunion warnt vor rasantem Verlust der Biodiversität
An der Weltnaturkonferenz der Uno in Montreal, der COP15, soll ein langfristiger Plan verabschiedet werden, um die biologische Vielfalt auf der Erde zu schützen. Bis zu einer Million Tier- und Pflanzenarten könnten aussterben, schätzen die Fachleute.
Der Generaldirektor der Weltnaturschutzunion (IUCN), Bruno Oberle, fordert mehr Engagement beim Schutz der Artenvielfalt. Nahrung, Wasser und Atemluft hingen von Biodiversität ab, sagte er im Deutschlandfunk Ihr Verlust sei deshalb ein riesiges Problem.
Sie sind eingeladen zur Debatte!
Welche Tiere und Pflanzen sehen Sie in Ihrem Wohnort nicht mehr? Was können wir dagegen tun?
Die biologische Vielfalt geht aufgrund menschlicher Aktivitäten und des Klimawandels zurück. Vielleicht bemerken Sie die Folgen an Ihrem Wohnort: Sie sehen nur noch wenige Schmetterlinge oder hören den Gesang der Lerche nicht mehr. Was tun Sie in Ihrem eigenen kleinen Rahmen, um das Verschwinden von Fauna und Flora zu verhindern? Was sollte Ihrer Meinung nach auf politischer Ebene getan werden? Swissinfo eröffnet auf Link die Debatte. Diskutieren Sie mit. Schreiben Sie Ihre Beobachtungen.
In den nächsten zwei Monaten wird eine Forscherin mit langjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der biologischen Vielfalt an dieser Debatte teilnehmen, ihre Erfahrungen weitergeben und Fragen beantworten. Es ist Cornelia Krug, Wissenschaftlerin an der Universität Zürich und Leiterin von BiodiscoveryExterner Link.

Stimmen aus der Wirtschaft
In Wirtschaftskreisen werden die warnenden Stimmen immer lauter: «Ohne einen besseren Schutz unserer Biodiversität und damit unserer Ökosysteme werden unsere Ernährungssicherheit und unser Wohlstand gefährdet».
Biodiversität ist auch ein Finanzmarktthema. cash, 16. Dezember 2022 Link
SwissRe Why biodiversity and global prosperity go hand in hand
McKinsey Valuing nature conservation
PWC Nature is too big to fail
WEF Biodiversity Loss, Litigation and Value Chain Risk
Lombardodier COP15: Eine einmalige Gelegenheit, unsere lebenswichtige Biodiversität zu schützen