
«Die Wissenschaft sollte sich aktiv einbringen und nicht warten, bis sie einbezogen wird»

Benedikt Schmidt
Biologe und Amphibienexperte der Universität Zürich und Mitarbeiter bei info fauna,
Koordinationsstelle für Amphibien- & Reptilienschutz in der Schweiz (karch)
Zum Internationalen Tag der Biodiversität traf sich das Team der Biodiversitätsinitiative mit Benedikt Schmidt, Biologe, Amphibienspezialist und Forscher an der Universität Zürich. Er hat eine klare Meinung zur Rolle der Wissenschaft angesichts des Rückgangs der Artenvielfalt und fordert umfassende Massnahmen zu ihrem Schutz.
Herr Schmidt, wo gehen Sie hin, um die Natur und ihre Vielfalt zu geniessen?
Ich mag die Frösche, Kröten, Unken, Molche und Salamander. Daher bin ich sehr gerne nachts an einem Weiher und lausche dem Konzert der Frösche. Grossartig ist das oft in Osteuropa, wo es noch unglaublich viele Amphibien hat. Bei uns sind die Bestände leider viel kleiner. Ebenso gerne suche ich gerne an einem Waldbach im Jura nach den Larven des Feuersalamanders.

Wenn der Zustand der Biodiversität so schlecht ist, wieso hat die Wissenschaft nicht schon viel früher Alarm geschlagen?
Das hat sie doch, oder? Die Probleme sind seit langer Zeit bekannt. Das NHG stammt aus den 1960er Jahren. Die erste Rote Liste der Amphibien und Reptilien erschien 1982. Man hat also schon früh erkannt, dass die Biodiversität geschützt werden muss. Altmodisch nennt man das Naturschutz. Das Wissen um den schlechten Zustand der Natur ist schon lange da. Es stand einfach nie oben auf der politischen Prioritätenliste. Aber dennoch waren Naturschutzbehörden, Private und Organisationen im Naturschutz sehr aktiv.
Wird die Wissenschaft genügend in die politische Debatte zur Biodiversität einbezogen?
Die Wissenschaft sollte sich aktiv einbringen und nicht warten, bis sie einbezogen wird. Es gibt Klimawissenschafter, die das in ihrem Fachgebiet sehr gut machen. Aber was kann «die Wissenschaft»? Sie kann beispielsweise sagen, dass eine lokale Population von Kreuzkröten mindestens 100 Individuen braucht, um lebensfähig zu sein. Oder dass es mindestens 10000 Individuen braucht, damit die genetische Vielfalt langfristig erhalten bleibt. Solches Wissen enthält aber keine konkrete Handlungsanweisung. Im konkreten Fall gibt es jeweils eine Interessensabwägung. Da wird dann beispielsweise entschieden, dass man einen Lebensraum vergrössert, so dass mehr als 100 Kröten an einem Ort leben können. Oder eben nicht, denn es gibt ja noch andere Wissenschaften wie Ökonomie, Soziologie oder Agronomie, die sich vielleicht auch einbringen und andere Aussagen machen. Diese Aussagen sind nicht falsch oder richtig. Die spiegeln unterschiedliche Gesichtspunkte, welche in der Interessensabwägung dann zu berücksichtigen sind. Ich wäre aber froh, wenn die Ökologinnen und Ökologen drei Dinge tun würden. Erstens braucht es mehr Information über den Zustand der Biodiversität. Vielen Menschen ist schlicht nicht bewusst, wie schlecht der Zustand der Biodiversität ist. Zweitens müssen Lösungen für Probleme angeboten werden. Wir brauchen mehr positive Botschaften. Drittens muss klar gesagt werden, dass die Interessen der Biodiversität allzu oft zu kurz kommen und dass es mehr braucht, wenn wir langfristig lebensfähige Populationen wollen.
Nützen denn all die internationalen Abkommen und Strategien zur Erhaltung der Biodiversität nichts?
Diese Abkommen sind wichtig, aber die Flughöhe ist sehr, sehr hoch. Solche Abkommen sind Absichtserklärungen und haben keine direkte Wirkung sie erzeugen aber politischen Druck und eine Legitimation für weitergehende Massnahmen. Diese Massnahmen müssen dann aber national, kantonal und kommunal umgesetzt werden. Entscheidend ist am Schluss die lokale Umsetzung von Massnahmen zum Schutz der Biodiversität. Beispiel: Stellt uns ein Landwirt ein Stück Land für den Bau eines Weihers zur Verfügung? Das ist gut möglich (danke an Alle, die es getan haben!), aber mit Hinweisen, dass die Schweiz Ziel Nr. 518 einer internationalen Vereinbarung noch nicht erreicht hat, werde ich ihn kaum überzeugen.
Wo sind aus Ihrer Sicht die Stellschrauben, um die biologische Vielfalt zu bewahren?
Die wichtigste Stellschraube ist eine höhere Wertschätzung der Natur. Der Verbrauch einer natürlichen Ressource hat leider keinen Preis; ganz sicher nicht unmittelbar. Ansetzen müssen wir primär bei der Landwirtschaft, der Waldwirtschaft und bei den Gewässern. Die Akteure in diesen Bereichen haben viele Möglichkeiten, etwas für die Biodiversität zu tun. Für Amphibien wäre mehr Totholz im Wald gut. In der Landwirtschaft gibt es keine Biodiversitätsförderflächen, die explizit auf Amphibien und die aquatische Biodiversität ausgerichtet und für die Landwirte attraktiv sind. Gewässerrevitalisierung haben meist keine positiven Auswirkungen auf die Amphibien. Es gibt bereits ganz viele Hebel. Sie müssen nur wirkungsvoller gestaltet und eingesetzt werden.
Wie viel Zeit bleibt uns noch bis zum «tipping point»?
Das weiss ich nicht. «Tipping points» mag es geben, aber ich halte eine Argumentation mit «es bleibt nur noch wenig Zeit» für zu alarmistisch. Es erinnert mich irgendwie an den Maya-Kalender, der auch den Weltuntergang prophezeite. Und selbst wenn es abrupte Änderungen geben wird: Das ist ein Problem für den Menschen. Wir haben auch ohne «tipping point» genügend Argumente für den Schutz der Natur und Umwelt. Ich meine auch, dass wir mit den Kassandrarufen aufhören sollten. Das demotiviert die Leute und erzeugt den Eindruck, dass Hopfen und Malz eh verloren seien. Positive Geschichten -die gibt es!- sind besser und motivierender.